1.4. Lehrkonzept#

We do not learn from experience. We learn from reflecting on experience. — John Dewey

Zwar machen wir Sie in diesem Kurs mit dem Programmieren vertraut, doch steht es am Ende des Denkprozesses – nicht am Anfang. Der Kurs unterscheidet sich grundlegend von einem klassischen Programmierkurs. Unsere zentrale Aufgabe als Lehrende ist es, Sie an das Konzept des Computational Thinking heranzuführen. Programmieren ist dabei ein Werkzeug, um Ihre Gedanken in einer präzisen, überprüfbaren Form

  1. festzuhalten,

  2. auf Korrektheit zu prüfen,

  3. und neue Denkweisen zu entdecken und anzuwenden.

Wir verwenden in der Vorlesung die Programmiersprache Python, doch die vermittelten Konzepte gelten für viele imperative Sprachen. Die funktionale Programmierung wird in diesem Kurs nicht vertieft behandelt. Wenn Sie Ihren Horizont über diesen Kurs hinaus erweitern möchten, ist ein Blick in diese alternative Denkweise lohnenswert.

Lernen findet weder an der Tafel noch am Computer statt – es geschieht in Ihrem Kopf. Zusammenhänge können nicht von Lehrenden zu Lernenden übertragen werden - sie werden von Ihnen mithilfe von Irritation, Reibung und Überraschung konstruiert. Das erfordert nicht nur die Erfahrung sondern auch die Reflektion über dessen was Sie erfahren. Unabhängig von den eingesetzten Hilfsmitteln gilt: Um wirklich zu verstehen (nicht nur zu wissen), müssen Sie aktiv werden. Es gibt keine Abkürzung, die Ihnen diesen Teil des Lernens abnimmt. Gute Materialien und Werkzeuge können unterstützen – aber auch Lernchancen verdecken.

Ich vergleiche Lernen gerne mit einer Reise: Wenn der Weg perfekt vorbereitet ist und Sie auf der Autobahn unterwegs sind, erreichen Sie Ihr Ziel schnell – aber lernen wenig unterwegs. Umwege, Sackgassen und Irrwege sind kein Scheitern, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Lernens, sofern Sie darüber reflektieren wie und warum Sie dort hier oder dort hingekommen sind. Unser Gehirn konstruiert fortwährend ein Modell der Welt – und immer dann, wenn dieses Modell durch neue Erfahrungen irritiert wird - wenn also die Vorhersagen des Models enttäuscht werden - lernen wir, sofern wir Willens sind über unser Modell nachzudenken. Diese Irritation in Kombination mit der Reflexion führt zur Anpassung – zur Neustrukturierung unserer Erwartungen. Fehler und Misserfolge sind daher keine Hindernisse, sondern Katalysatoren des Lernens. Je mehr Fehler Sie machen, desto mehr werden Sie aus diesem Kurs mitnehmen.

Das andere Extrem wäre, sich ohne jegliche Orientierung auf den Weg zu machen. Sie hätten ein Model der Welt, welches überhaupt keine auch nur ansatzweise korrekten Vorhersagen zulässt. Dann drohen Sie sich zu verirren oder nie am Ziel anzukommen. In diesem Kurs versuchen wir, diese beiden Extreme auszubalancieren: Wir lassen Sie eigene Wege gehen – aber nicht ohne Unterstützung.

Weil wir überzeugt sind, dass Lernen durch Irritation und Entdecken entsteht, werden wir Sie oft mit Aufgaben konfrontieren, bevor alle zugehörigen Theorien behandelt wurden. Sie sollen sich verlaufen dürfen – und dann auf Grundlage der mitgegebenen Werkzeuge selbstständig wieder herausfinden. Was Sie dabei entdecken, werden wir anschließend gemeinsam reflektieren und vertiefen.

Stellen Sie sich vor, zwei Kinder bekommen dasselbe Spielzeug. Dem einen wird gezeigt, wie man damit „richtig“ spielt – dem anderen nicht. Welches Kind wird wohl kreativer spielen? Welches länger Freude daran haben? Wir möchten Ihnen dieses Erlebnis eigenständiger Erkenntnis nicht nehmen – es ist erfüllend, und Sie lernen dabei am meisten.

Viel Freude auf Ihrer Lernreise!