8.4. Geisteswissenschaften#

8.4.1. Semiotik#

Die Semiotik (Zeichentheorie), ist die Wissenschaft, die sich mit Zeichensystemen aller Art befasst. Wir haben im Abschnitt Interpretation die Semiotik bereits angesprochen und wollen ihr hier noch etwas mehr Platz einräumen. Sie ist nicht zuletzt eng mit der Informatik über das Konzept von Programmiersprachen, Grammatiken, formalen Methoden aber auch der Computerlinguistik—heute besser bekannt als Natural Language Processing (NLP)—verknüft.

Für die Entwicklung der modernen Semiotik gilt die Zeichentheorie von Ferdinant de Saussure (1857-1913) als grundlegend. Er erweiterte die referenzielle Bedeutungslehre (referenzielle Semantik) durch die mentale Bedeutungslehre.

Die referenzielle Semantik scheint auf den ersten Blick sehr plausibel zu sein. Man geht davon aus, dass die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens die außersprachliche Einheit ist, für die das Zeichen steht. Nehmen wir den Eigennamen ‚Alan Turing‘. Dieser referenziert die verstorbene Person Alan Turing (Referent). Die Beziehung zwischen dem Namen und der Person wäre die Referenz. Der Referent befindet sich in der Realwelt. Das Wort Stuhl stünde dann für all jene Dinge die Stühle sind—darum außersprachliche Einheit. Dieses Konzept ähnelt dem der Interpretation der formalen Semiotik, wobei wir in dieser nicht von Realobjekten sprechen. Weit kommt man mit dieser Theorie in der Linguistik allerdings nicht. Was machen wir beispielsweise mit Wörtern wie ‚dort‘ oder ‚Einhorn‘?

Saussure sprach sich stark gegen einen solchen referenziellen Ansatz aus. Er folgte einem sog. mentalistischen Ansatz. Saussure unterscheidet demzufolge zwischen Vorstellung (Begriff, Bedeutung, Sinn) und Lautbild. Diese sind so eng verknüft, dass sie wie die zwei Seiten der gleichen Sache erscheinen, wie Vorder- und Rückseite eines Blatt Papiers oder die beiden Seiten einer Medaille. Das Lautbild ist ein Bezeichnendes (auch Signifikant), und die Vorstellung das Bezeichnete (auch Signifikat). Die Vorstellung befindet sich in der Mentalwelt. Saussure stellt zudem heraus, dass dieser Verbindung nichts Naturgegebenens ist. In anderen Worten: Der Baum aus unserer Vorstellung trägt nichts dazu bei, dass wir ihn ‚Baum‘ nennen.

Das sprachliche Zeichen ist also etwas im Geist tatsächlich Vorhandenes, das zwei Seiten hat: […] Diese beiden Bestandteile sind eng miteinander verbunden und entsprechen einander. […] Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild das Zeichen. [Busse, 2009] (Seite 27)

Charles Odgen und Ivor A. Richards stellten 1923 das Modell des semiotischen Dreiecks vor, welches es im laufe der Zeit in verschiedenen Ausführungen gab. Das semiotische Dreieck baut auf Saussures Ideen auf, fügt jedoch eine dritte Komponente hinzu: den Referenten, also das tatsächliche Objekt oder die Sache in der Welt, die durch das Zeichen repräsentiert wird. Während Saussures Modell eher abstrakt und auf die Struktur der Sprache selbst fokussiert ist, versucht das semiotische Dreieck, auch die Rolle der externen Welt und der menschlichen Vorstellungskraft einzubeziehen.

Wenn wir sagen: „Mein Glas ist leer“ dann ist ‚Glas‘ das Lautbild, welches für die Vorstellung eines Glases (in Ihrem Kopf) steht. Habe ich tatsächlich ein leeres Glas vor mir, sieht dieses vermutlich anders aus als das Glas Ihrer Vorstellung. Erst in einer individuellen Sprechsituation—wenn ich und Sie über das leere Glas, was vor mir steht, reden—wird die Vorstellung dem Gegenstand zugeordnet.

Charles W. Morris (1901 - 1979) vertrat einen pragmatischen Zeichenbegriff, indem er die Beziehung zwischen Zeichen und Zeicheninterpreter*in einbezog. Er brachte die drei Teile der Semiotik,

  1. Syntax (Aufbau): Die Beziehung zwischen Zeichen. Wesentlich sind dabei Regeln, die zulässige und auf einer semantischen Ebene verständliche Zeichenketten durch Kombination einzelner Zeichen entstehen lässt.

  2. Semantik (Bedeutung): Die Beziehung zwischen Zeichen und (mentalen) Begriffen.

  3. Pragmatik (Deutung/Wirkung): Die Beziehung zwischen Zeichen und (Zeichen)benutzer*in, welche die Zeichen deuten. Dabei spielt das individuelle Verständnis von Zeichen eine Rolle. Was lösen die Zeichen in mir aus?

als erster zusammen. Bringen wir die Zeichenbenutzer*innen in das semiotische Dreick ein, ergibt sich folgendes semiotisches Viereck.

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Abb. 8.3 Semiotisches Viereck: Der Begriff entspricht Saussures Vorstellung, die Zeichen seines Lautbilds.#

Die Syntax, wie etwa die deutsche Grammatik, stellt eine Beziehung zu den Zeichen (unserem Alphabet) her. Zeichen stehen mit anderen Zeichen durch eine Syntax in Beziehung. Die Semantik wiederum stellt eine Beziehung zwischen den syntaktisch korrekt aufgebauten Zeichen und den (mentalen) Begriffen her. Diese Begriffe sind gerade nicht der außersprachlichen Gegenstand sondern mentale Bilder in unseren Köpfen. Die Zeichenfolge erhält durch die Semantik eine Bedeutung. Und die Benutzer*innen der Zeichen deuten diese, was eine gewisse Wirkung auf die Zeichenbenutzer*innen hat. Begriffe werden als mentale Repräsentationen von Gegenständen oder Sachverhalten (Referent) verstanden.

Das ähnelt dem was wir im Abschnitt Interpretation besprochen haben. Hier hatten wir gesagt, dass wir den Tag, den die Zeichenfolge 23.10.2022 repräsentiert, niemals niederschreiben können. Wir können immer nur einen Repräsentanten niederschreiben. Deshalb ist der Gegenstand aus der Realwelt auf den wir referenzieren außersprachlich.

Zum Beispiel, können zwei Zeichenfolgen (Ausdrücke) auf den selben (realen) Gegenstand referenzieren, jedoch unterschiedliche Bedeutungen haben. Ein Beispiel ist das Wortpaar Abendstern und Morgenstern. Beide Zeichenfolgen referenzieren auf den Planeten (realen Gegenstand) Venus. Abendstern ist der syntaktische Ausdruck. Seine Bedeutung (nach dem Duden) ist:

Auffallend hell leuchtender Stern am Westhimmel nach Sonnenuntergang.

Für Morgenstern heißt es im Duden hingegen:

Auffallend hell leuchtende Planet Venus am Morgenhimmel vor Sonnenaufgang.

Wir symbolisieren mit den Zeichen also einmal den Abend und das andere Mal den Morgen.

Betrachten wir ein weiteres Beispiel aus dem Straßenverkehr: Das Halteverbotszeichen. Die Syntax des Zeichens ist seine Zusammensetzung aus rotem Ring und rotem Kreuz mit blauer Füllung. Die Semantik ruft in uns Begriffe wie Verbot, Strafe und das Bild eines parkenden Autos hervor. Der reale Gegenstand oder Sachverhalt ist weniger klar, da es viele dieser Sachverhalte gibt. Wir könnten die Menge all dieser Sachverhalte mit dem Verbotsschild referenzieren. Die pragmatische Wirkung ist etwa: Die Zeichenempfänger*innen sollen veranlasst werden nicht an der Straßenseite zu halten. Bei Missachtung muss sie mit einer Sanktion rechnen.

Zu guter Letzt sollte man an dieser Stelle den Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951) erwähnen, der eine Art konventionelle Semantik vertritt. Für Wittgenstein sind wir Individuen die einer Sprachgemeinschaft angehören und auf geteiltes Wissen zurückgreifen. Dieses Wissen verwenden wir. Wittgenstein behauptet, dass die Bedeutung eines Worts durch dessen Gebrauch in der Sprache entsteht.

Nehmen wir zum Beispiel das Wort ‚Spiel‘, dann wird es schwer auszumachen, was genau ein Spiel ist. In anderen Worten, es gibt keine essenzielle Eigenschaft was ein Spiel ausmacht. Zwar ähneln sich viele Spiele aber es gibt eben nicht diese eine Essenz des Spiels.

Stattdessen wissen wir was ein Spiel ist, weil uns unsere Kultur und Gemeinschaft erklärt was ein Spiel ist. Verwenden wir das Wort falsch, werden wir darauf hingewiesen. Es kommt zu einer Absprache was zwischen Menschen und diese Absprache entscheidet was ein Spiel ist. Diese wurde jedoch nicht bewusst getroffen. Wir setzen uns nicht zusammen und klären was ein Spiel ist. Es handelt sich vielmehr um eine unbewusste sprachliche und gesellschaftliche Konvention die nebenläufig erhalten und auch verändert wird. Jeder weiß was gemeint ist, wenn ich ‚Spiel‘ sage. Die Konvention entsteht aus der Sprachgemeinschaft.

Diese Auffassung scheint eigentlich nicht weiter radikal zu sein aber tritt Wittgenstein damit gegen eine lange Tradition des Platonismus an. Denn der Platonismus geht davon aus, dass es eine Art Ideenwelt gibt und dass jede Form durch eine gewisse Essenz ausgezeichnet ist. Zu bedenken ist, dass der Platonismus hat das westliche Denken maßgeblich geprägt hat. Zudem wird durch Wittgenstein deutlich, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass Sprache die tatsächliche Realität beschreibt. Schließlich geht bei Wittgensteins Auffassung um Nützlichkeit und nicht um eine akkurate Beschreibung. Natürlich ist das kein Widerspruch. Die Sprache könnte am nützlichsten sein, wenn sie die Realität exakt beschreibt, doch scheint das nicht plausibel zu sein. Wenn die Sprache derart konstruiert ist, weshalb sollten sich Konventionen ändern, wenn die Sprache ihren Nutzen erfüllt?

Wittgenstein folgert zudem, dass es keine Sprache geben kann bei der prinzipiell nur der/die Sprecher(in) selbst um die Bedeutung der Worte dieser Sprache wissen kann. Damit können wir durch sprachliche Äußerungen nicht auf private Episoden, wie Gefühle von Schmerz, Bezug nehmen. Da wir derartige Wörter intersubjektiv erlernen, sich aber rein Erlebnisse nicht intersubjetiv vermitteln lassen, können wir dies auch nicht erlernen. Wenn beispielweise ein Schmerz nicht anderweitig gemessen werden kann, ist vollkommen unklar ob das Gefühl auch nur im Entferntesten etwas mit dem zu tun hat was andere erzählen, wenn sie von Schmerzen sprechen.

Angenommen, es hätte jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir ‚Käfer‘ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Anderen schauen, und jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. […] Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel, auch nicht einmal als ein Etwas, denn die Schachtel könnte auch leer sein. [Wittgenstein, 1953]

8.4.2. Systemtheorie#

Die soziologische Systemtheorie, mit Niklas Luhmann als wohl wichtigsten Vertreter, folgt dem kybernetischen Informationsbegriff der 1948 von Norbert Wiener in seinem Aufsatz Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine erörtert wurde. Information ist für Wiener, ähnlich wie für Shannon (siehe Nachrichtentechnik), bezogen auf einen Auswahlprozeß ohne Bezug auf Semantik und Pragmatik. Aber, anders als für Shannon, bedeutet Information für Wiener eine Zunahme von Organisation oder Ordnung: Je organisierter ein System umso größer sein Informationsgehalt [Wieder, 1948]. Der Informationswert nimmt mit der Organisation eines Organismus zu. Information wird hier, in Anlehnung an die Physik, als Negentropie bestimmt.

Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist die Änderung der Entropie durch Prozesse im Innern eines Systems stets nicht negativ. Die gesamte Entropieänderung eines offenen Systems setzt sich aus dem im Innern produzierten Anteil und der Entropieänderung durch Austauschprozesse mit der Systemumgebung zusammen. Letztere Größe kann auch negativ sein, sodass die gesamte Entropieänderung durchaus negativ sein kann. In anderen Worten: Wiener fasst den Organismus als ein offenes System auf und interpretiert Information als eine negative Entropieänderung durch Austauschprozesse mit der Systemumgebung. Beispielweise erfährt die Erde eine solche Entropieänderung durch die Information—in Form von hochwertiger Energie—die von der Sonne ausgestrahlt wird. Diese hochwertige Energie ermöglicht Leben, z.B. Pflanzen, was diese Energiequalität verringern. Wiener faßt Information als eine dritte Größe, neben Materie und Energie auf:

Information is information not matter or energy. [Wieder, 1948]

Luhmann definiert den Informationsbegriff ebenfalls im Sinne einer Systemänderung durch eine Außeneinwirkung. Seine Theorie basiert auf selbstreferntiellen Systemen. Diese Systeme bilden innere Komplexität um die äußere Komplexität ihrer Umwelt zu verringern. Luhmann unterscheidet dabei zwischen organischen und psychischen sowie sozialen Systemen. All diese offenen Systeme sind operational geschlossen und zugleich gekoppelt. Jedes System erzeugt bzw. erhält sich selbt durch seine Operationen (Autopoiesis). Psychische Systeme denken und soziale Systeme kommunizieren. Gedanken erzeugen weitere Gedanken und Kommunikation erzeugt weitere Kommunikation. Soziale und psychische Systeme verarbeiten Sinn [Luhmann, 1987]. Verschiedene Soziale Systeme arbeiten mit verschiedenen Codes. Beispielsweise verwendet das Wissenschaftssystem den Code wahr/falsch und das Rechtssystem legal/illegal.

Information ist dann für Luhmann nichts anderes als ein Ergebnis, das eine Verknüpfung von Differenzen bewirkt. Also ein Unterschied der einen Unterschied macht. Wenn ich jemandem sage: „Heute ist schlechtes Wetter“, dann ist das eine Mitteilung, die eine sehr unterschiedliche Bedeutung für den Empfänger haben kann, ja nachdem, was er/sie darunter versteht (z.B. dann soll ich einen Regenschirm mitnehmen, oder: ich sollte lieber zu Hause bleiben usw.). Der Unterschied, dass heute schlechtes und nicht gutes Wetter ist, macht einen anderen Unterschied. Sinn ist für Luhmann ein Prozessieren nach Maßgabe von Differenzen und zwar von Differenzen, die als solche nicht vorgeben sind—es könnte für sie/ihn so oder auch anders sein. Es wird ein Sinnangebot (eine Mitteilung) gemacht und diese wird prozessiert. Verstehen heißt die Differenz zwischen Information und Mitteilung zu vollziehen. Die Einheit von Mitteilung, Information und Verstehen konstituiert für Luhmann die Kommunikation.

Auch die mentalistischen Ansätze haben ihre Grenzen. Erneut können wir uns Fragen was mit dem Wort ‚Stuhl‘ ist. Oder noch verzwickter wird es beim Ausdruck ‚Spiel‘. Wenn der mentalistische Ansatz alles erklären könnte müsste es etwas geben was für jedes Spiel gilt. Wir müssten etwas finden, dass uns sagt ob es sich um ein Spiel handelt oder nicht. Doch wird man feststellen, dass zwar viele Spiele viele Gemeinsamkeiten haben, es aber keine Eigenschaft gibt, die alle Spiele besitzen.

8.4.3. Evolutionäres Konzept#

Der deutsche Informatiker Klaus Fuchs-Kittowski greift die Perspektive aus der Semiotik wieder auf. Er versteht unter Information eine Einheit von Syntax, Semantik und Pragmatik. Das heißt hierbei handelt es sich um einen vollkommen anderen Informationsbegriff als wir ihn im Abschnitt Strukturwissenschaften verwendet haben! Bei Kittowski müssen alle drei Aspekte gleichzeitige Vorliegen, um etwas als Information qualifizieren zu können.

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Abb. 8.4 Wissenspyramide nach Fuchs-Kittowski.#

Fuchs-Kittowski stellt einige Thesen auf:

  • Information ist nicht auf ihre Syntax reduzierbar.

  • Information ist keine Substanz, sondern ein Dreiecks-Verhältnis von Form (Syntax), Inhalt (Semantik) und Wirkung (Pragmatik).

  • Information entsteht intern in einem Prozess von Abbildung (äußere Einwirkungen auf innere Syntax), Interpretation (Bedeutung, Bildung der Semantik) und Bewertung (Verhalten manifestiert Pragmatik).

  • Die Semantik der Information wird syntaktisch nicht vollständig gespeichert.

  • Information ist weder Materie noch Geist allein, sondern als Codierung materiell und als Bedeutung ideell/geistig.

  • Information ist die treibende Kraft der Evolution.

In sozialen Systemen unterscheidet Fuchs-Kittowski zwischen Daten, Information und Wissen. Daten sind syntaktisch, formalisierte Darstellungsformen sozialer Information. Dadurch wird Information maschinell verarbeitbar, übertragbar und verteilbar. Werden Daten zweckorientiert interpretiert, so entsteht eine semantische Information. Dies ist die Basis für bestimmte Verhaltensweisen. Wissen gilt als kontext- und zweckbezogene Information.

Fuchs-Kittowski setzt einen strickten Riegel vor die physikalischen Systeme. Da in physikalischen (und chemischen) Systemen von Bedeutung keine Rede sein kann, geht er davon aus, dass es in diesen Systemen auch keine Information gibt.

In diesem Punkt widersprechen Fuchs and Hofkirchner [2002]. Die Autoren haben sich mit ihrem Ansatz zur Aufgabe gemacht, eine einheitliche Informationstheorie (Unified Theory of Information) zu finden und zu etablieren. Sie gehen stattdessen davon aus, dass es drei verschieden komplexe selbstorganisierende Systemkategorien gibt:

  1. Physikalisch-chemische Systeme (dissipative Systeme)

  2. Lebende Systeme (autopoietische Systeme)

  3. Soziale Systeme

Die Qualitäten einer höheren Ebene emergieren aus der jeweils darunterliegenden Ebene. Wie oben bereits erwähnt ist mit emergieren gemeint, dass ohne hierarchisch vorgebende Struktur durch das Zusammenspiel der Einzelteile, etwas Neues „aus sich selbst heraus“ entsteht. Ein höheres System weißt Aspekte von Information auf, welches die niedrigeren Systeme nicht aufweisen. Gleichzeitig gibt es Aspekte der Information, die für evolutionär-aufeinanderfolgende Systemen gleichermaßen zutreffen.

Nach dieser Theorie, hat Information in physikalisch-chemischen Systemen (niedrigste Ebene) einen rein syntaktischen Charakter. Nehmen wir an ein Umweltereignis gibt den Anstoß zum selbstorganisierten Ordnungsaufbau eines physikalischen Systems. Dann kann man, laut Fuchs und Hofkirchner, dieses Umweltereignis als Signal für die Auslösung eines Informationsprozesses interpretieren. Das Muster was sich bildet, kann wiederum als weiteres Signal für andere Systeme in der Umwelt dienen.

In lebenden Systemen sind Strukturen nicht mehr einfache Muster, sondern Symbole/Zeichen. Diese haben für das entsprechende System eine bestimmte Semantik/Bedeutung. Aus der Wahrnehmung (physikalisch-chemisches System) können bedeutungsvolle Symbole emergieren. Werte, Normen, Regeln, Meinungen, Ideen, Glaube, usw. einer einzelnen Person bezeichnen Fuchs und Hofkirchner als individuelle Information / Weisheit. Aus wahrgenommenen Signalen werden Daten, diese werden interpretiert und schließlich zu Wissen. Jenes Wissen ist dann die Basis für neues Wissen. Wir projizieren unser Wissen zurück auf (neu) wahrgenommene Daten und es entsteht erneut Wissen. Auf der dritten Stufe wird, sobald eine Entscheidung getroffen werden muss, das Wissen evaluiert. Dabei emergiert individuelle Information.

Individuelle Information ist die erste Form von Information in sozialen Systemen. Die zweite ist, nach Fuchs, die sogenannte soziale Information. Sie bezeichnet gesellschaftliche Kategorien, die soziales Handeln dauerhaft ermöglichen und Aspekte gesellschaftlicher Handlungen und Beziehungen speichern. Es kann sich um eine sog. soziale Inklusion oder soziale Exklusion handeln. Soziale Inklusion sind neue emergente Eigenschaften eines sozialen Systems, dessen sich das System kollektiv bewusst ist. Soziale Exklusion wird hingegen nicht kollektiv konstituiert. Sie entsteht entweder durch Teilsysteme, die sich in sozialen Hierarchien befinden, oder von außen. Die Exklusion reflektiert Herrschaftsverhältnisse in sozialen Systemen. Nach Fuchs und Hofkirchner, entsteht soziale Inklusion durch Kooperation und soziale Exklusion durch Konkurrenz.